Man kann sich fragen, ob Pflanzen und Tiere, Berge und Flüsse auch eine Existenz, sei es im Ansatz, sei es eindeutig individuell, auf den höheren Ebenen haben, so wie menschliche Seelen dies tun.
Alles was auf der irdischen Ebene existiert, hat auch seine Existenz auf den höheren Ebenen; aber was ist individuell? Jedes Wesen und jedes Objekt das eindeutig auf sich steht, kann eine Entität genannt werden, aber was man ein Individuum nennt ist ein Konzept unserer Imagination; und die wirkliche Bedeutung dieses Konzeptes wird an dem Tag realisiert werden, wenn die endgültige Wahrheit ihr licht auf das Leben wirft. An dem Tag wird niemand über Individualität sprechen; man wird “Gott” sagen und sonst nichts.
Es gibt viele Wesen, aber gleichzeitig gibt es eins, das einzige Wesen. Deswegen leben Objekte wie Flüsse und Berge zwar, aber sie existieren nur getrennt in unserer äusseren Vision. Wenn unsere innere Vision sich öffnet, stellt sich die Trennung als Schleier heraus; dann gibt es nur eine einzige Vision und das ist die Immanenz von Gott.
Pir-o-Murschid Hazrat Inayat Khan
Die Anfänge von Ziraat können bis 1919 zurückverfolgt werden, als Murschida Green in einer Versammlung
des Inayati Ordens eine erste Skizze vorstellte.
Damals war 40% der West-Europäischen Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt. Kunstdünger und
Mechanisierung waren auf dem Weg zum Erfolg und vereinzelte visionäre Bauern trafen sich um die
Gefahren dieser Entwicklung zu diskutieren. Biodynamische Landwirtschaft wurde zum Beispiel in 1924
gegründet.
Heute ist noch 2 % der Bevölkerung von Deutschland in der Landwirtschaft tätig. In hundert Jahren
entwickelten wir eine industrielle urbane Kultur mit verschwindenden Verbindungen zum “Boden” oder
Erde. Wie Murshid oben beschreibt, haben wir uns von den anderen Naturreichen “emanzipiert”. Wir
leben in einer künstlichen Illusion, dass der Mensch als Individuum eine Zukunft haben kann ohne die
Einheit der Schöpfung zu berücksichtigen.
Das Hauptziel eines konventionellen modernen Bauers ist es, Zeit zu sparen. Er/Sie versucht durch Einsatz
von immer größeren Maschinen und immer ausgefeilteren Benutzung von Chemie einen Zustand zu
erreichen, worin seine Anwesenheit auf dem Hof rein “virtuell” wird.
Gleichzeitig entdeckt die Menschheit die sogenannte Klimakrise und die Notwendigkeit für Nachhaltigkeit.
Dass mehr als 30% des CO² Problems durch moderne Landwirtschaft verursacht wird, ist nicht Teil des
Allgemeinwissens. Momentan werden hauptsächlich technische industrielle Lösungen gesucht, um ein
angenehmes Leben auf Erden für alle sicher zu stellen.
Aber der Ruf nach einem Paradigmenwechsel wächst. Ohne eine neue Landwirtschaft ist keine nachhaltige
Kultur möglich. In Ziraat werden die Prinzipien einer neuen Beziehung zwischen Farmer und Farm, zwischen
Menschheit und Planet umrissen.
Die meiste Zweige des Inayati Ordens erfuhren während den letzten 100 Jahren eine kontinuierliche Erweiterung der respektiven Wissenskörper.
Aber wie steht es mit Ziraat? Manche denken, dass die landwirtschaftliche Terminologie symbolische
Bedeutung hat und für die Beschreibung von seelischen Dimensionen hergenommen wird.. Andere denken,
dass Ziraat von der Idealisierung des Landlebens handelt. Wieder andere denken, dass Ziraat mit Natur-
Erleben zu tun hat.
Bis Ende der siebziger Jahren war Ziraat geheim. Ganz wenig Menschen wussten um ihrer Existenz. Als Pir
Vilayat dann Ziraat für ein breiteres Publikum öffnete, galt sein Aufruf landwirtschaftlich tätigen Personen.
Aber gleichzeitig stirbt Landwirtschaft als Beruf aus.
Was heute gebraucht wird, ist eine größere Gruppe von Leuten die sich für den uralten heiligen Beruf des Nahrungsanbaus in Harmonie mit der Umwelt interessiert. Was gebraucht wird ist der Beitrag der anderen Zweigen des Inayati Ordens für eine Wiedergeburt des Archetyps des Bauers. Weil nur wenn wir es schaffen, diesen Beruf eine neue Würde und geistige Bedeutung zu geben, werden wir in der Lage sein, weltweit eine neue (Agri-)Kultur auf zu bauen.