Seite 2 - Klimawandel - Pir Zia Inayat-Khan

Wir haben also glücklicherweise das Ziel erreicht (Lachen). Das ist in Ordnung. Und so freue ich mich über diese Erinnerung. Es erinnert uns an den Ort, an dem wir uns befinden, 112 E Cary Street, das heißt, wirklich an dem Ort zu sein, an dem man sich befindet. Nazar bar qadam , wie die Sufis sagen. Fühle beide Füße auf dem Boden. Stehe, wo du stehst, sitze, wo du sitzt, sei an diesem Ort, in diesem Moment. "ibn el waqt" sei der Sohn und die Tochter "bint el waqt" dieses Augenblicks, dieses Ortes, dessen, was hier ist. Begegne der Lebendigkeit in allem, es ist genau hier. Die Luft, die Erde, das Feuer, die Pflanzen.

 

Im kommenden Jahr wird der 700. Jahrestag der Geburt von Lal Ded sein. Ich weiß nicht, ob der Name einigen von euch bekannt ist. Lala, Lala Kaschmiri. Sie war eine große Mystikerin in den Bergen von Kaschmir, eine Tantra Saiva Mystikerin. Und ihr Schüler war Scheich Nooruddin Rishi. Sie war hinduistischen Glaubens, er war muslimischen Glaubens, aber sie fanden eine gemeinsame Basis des lebendigen Geistes als einen Ort der Zusammenkunft. Und aus diesem Ursprung wurde der Rishi-Orden geboren. Der Rishi-Orden war ein Orden des Sufismus, in dem die Rishis sehr einfach lebten. Sie waren Vegetarier und hatten den Brauch, Bäume zu pflanzen. Vor allem Obstbäume. Sie lebten einfach, sie wanderten durch die Berge, reparierten Erosionen, pflanzten Bäume und Kaschmir wurde mehr und mehr zu einem Garten, einem Paradies. Du weißt, das Paradies ist ein Garten. Das Paradies, Jannat, ist der ursprüngliche Garten, in dem sich Flüsse und Bäume, Luft und Sonne vermischen. Und so pflanzten die Rishis überall in Kaschmir Bäume und mit der Zeit blühte Kaschmir so sehr, daß man sagte, daß “Agur frdws br rwa zman ast hman ast w hman ast w hman ast” – "Wenn das Paradies irgendwo auf der Erde ist, ist es hier, es ist hier, es ist hier". Es ist das Land, welches die Menschen geliebt haben, in dem die Menschen das Paradies gefunden haben, welches die Menschen genährt haben. Und auch in Amerika gab es solche Seelen. Denke an John Chapman, Johnny Appleseed, der durch das Land reiste und Apfelbäume pflanzte. Wusstet ihr, dass John Chapman ein Swedenborgianer war, er gehörte der Kirche von Emanuel Swedenborg an, dem mystischen Philosophen, dessen Philosophie die Anima Mundi, die Weltseele, anerkennt. Dies sind also Beispiele von Menschen, die Bäume gepflanzt haben, weil das Paradies nicht woanders ist. Das Paradies ist genau hier. Das Paradies zeigt sich in einem Bewusstseinswandel. Ein Wechsel vom Profanen zum Heiligen. Die Seele in allem zu sehen und den Boden zu nähren und ihr zu dienen, die Wechselbeziehungen zwischen den Dingen zu sehen, anstatt einen Willen aufzuzwingen, der das Gleichgewicht aller Wesen nicht achtet. Man könnte also in der Sufi-Terminologie sagen, die extraktive Mentalität, die Ausbeutungsmentalität entspricht dem, was man Nafs ul-ammaarah nennt. Und die Nafs ul-ammaarah ist das befehlende Selbst, das herrische Selbst. Das ist der Teil von einem selbst, der nur will, was er will und sich nimmt, was er will, und sich nicht für andere interessiert, sich um niemanden außer sich selbst kümmert. Also, unsere Gesellschaft hat dieses Element. Wir müssen gereinigt werden, wir müssen Muhaasibah praktizieren, was Selbstreflexion ist: nicht nur Dinge tun, sondern darüber nachdenken, was wir tun und warum wir sie tun, was dahinter steht. Es gibt diese Komponente in unserer modernen Gesellschaft, den Drang, zu dominieren, das Gewünschte sofort zu nehmen, ohne sich der Auswirkungen des Tuns oder der Folgen für künftige Generationen, der Kreisläufe der Natur, der Vernetzung der Wesen, der lebenden Systeme, bewusst zu sein. Nimm es einfach, weil es da ist, weil es einen Gewinn abwirft, greif den Gewinn jetzt. Das ist ein Symptom dieser  besonderen Form des Bewusstseins, das wir auch in unseren eigenen zwischenmenschlichen Beziehungen sehen, in einer Art einschüchternden, schikanierenden Verhaltensweise oder Neigung. Der Versuch, andere Menschen zu bedrängen und zu dominieren und sich durchzusetzen. Es wäre schön, wenn wir sagen könnten: Ja, das steckt in manchen Menschen, die ich kenne, aber in mir ist nichts davon vorhanden. Und in der Tat ist es genau das, was mit Nafs ul-ammaarah gemeint ist, denn die Nafs ul-ammaarah übernimmt niemals Verantwortung für sich selbst. Sie findet immer ihre eigene Zerstörungswut in anderen Menschen. Aber sich selbst zu betrachten und zu sagen: Ja, ich sehe, dass ich nur greife, mir einfach das schnappe, was ich nehmen kann. Diese Tendenz zu sehen – das ist der erste Schritt zur Erlangung der Selbstbeherrschung. Und dann ist der zweite Schritt die Nafs ul-lawwaamah, welches das selbstkritische Selbst ist, wenn du beginnst, über die Konsequenzen deiner Handlungen nachzudenken: Ich sehe jetzt, dass als ich das tat, als ich dieses Ding nahm oder dieses Wort sagte, es diese Auswirkung auf jene Person hatte. Und dann zu bereuen und zu versuchen, es wieder gut zu machen ist ein wichtiger Schritt, um an den Punkt zu gelangen, an dem man, statt nur den eigenen Kopf durchzusetzen, wirklich aufmerksam ist und aus den Folgen der eigenen Taten lernt. Das ist also auch in unserer Gesellschaft bis zu einem gewissen Grad vorhanden und es bedarf der Erhöhung der Fähigkeit, die Auswirkungen unserer Lebensweise zu betrachten und daraus zu lernen und den Kurs zu ändern und zu erforschen, wie die Natur tatsächlich funktioniert, weil...

 

Neulich sprachen wir über die Sufi-Philosophie und Kunst, und wenn die Kunst zu weit von der Natur entfernt ist, wird die Kunst degradiert, wirklich profan und degradiert. Ähnlich verhält es sich mit der Wissenschaft. Wenn die Wissenschaft von der Natur entwurzelt ist, wenn die Wissenschaft mechanistischen Zielen dient, die ohne das wahre Verständnis des systemischen Denkens sind, der Organizität der Systeme, dann außerdem vom Geist getrennt ist, wenn die Wissenschaft entmutigt, entweiht ist, geht die Wissenschaft in alarmierende Richtungen. Und all das gehört zur menschlichen Psyche. Sie projiziert ihre Stärke ohne Bewusstsein, ohne Gewissen. Die Wissenschaften selbst, so lernen wir aus der Tradition, sind das Vermächtnis der Propheten. Diejenigen, die sich in das göttliche Bewusstsein

eingeklinkt haben und eine Dispensation des Geistes in die Welt gebracht haben, das sind diejenigen, die die Wissenschaften in die Welt gebracht haben. Wissenschaften wie Meteorologie oder Landwirtschaft oder Mauerwerk. Dies sind alles menschliche Tätigkeiten, die ihre Wurzeln in der Offenbarung und der heiligen Tradition haben. Aber wenn wir die Wissenschaft von der inneren Berührung mit dem heiligen Geheimnis des Lebens zu trennen versuchen und darüber hinaus ein naturwissenschaftliches Paradigma verfolgen, das die Wirkungsweise der Natur auf der Erde nicht berücksichtigt, werden die Ergebnisse natürlich katastrophal sein. Und das ist es, was wir erleben. Und damit treten Konsequenzen auf und das spiegelt sich auf der sozialen Ebene, auf der kollektiven Ebene, wider. Die Nafs ul-lawwaamah, diese Fähigkeit, über die Folgen unseres Handelns und unserer Lebensweise zu reflektieren und daraus zu lernen und in eine neue Richtung zu wachsen. Und schließlich kann dies zur Nafs ul-mutmainnah führen, welches das Selbst ist, das im Frieden ist. Und dann kommt dieser Friede aus den Wechselwirkungen, die wir kennen und leben, aus dem Wohlbefinden, aus dem Selbst in der Balance mit allem. Das bedeutet, den Tod ebenso wie die Geburt  zu akzeptieren. Das Ein- und Ausatmen zu akzeptieren. Alles ausatmen. So viel geben, wie man nimmt. Im Einklang mit der Gestaltung des Lebens auf der ganzen Erde zu sein, anstatt zu nehmen und zu nehmen und zu nehmen. Das ist es, was der Atem uns lehrt. Wir praktizieren bewusstes Atmen. Atme ganz aus, leere dich, werde völlig leer und dann kommt ein anderer Atemzug hinein, welcher kommt und geht, welcher gibt und nimmt. Das ist die Systole und die Asystole des Herzens. Nachts schlafen gehen und morgens aufwachen. Das alles sind Zyklen von Aktivität und Ruhe, Empfangen und zum Ausdruck bringen, aber die Einseitigkeit des Nehmens und  Nichtzurückgebens, von mehr holen, als sich regenerieren kann – das alles sind Zeichen des Fehlens jenes spirituellen Gleichgewichts, das letztlich in der Psyche selbst verwirklicht werden soll und durch die Übereinstimmung mit den natürlichen Rhythmen, mit der Musik des Kosmos, verwirklicht wird. Lerne diese Musik.

 

So können Bäume unsere Wegweiser sein. Die Alten vieler Länder sahen den Baum als ein Symbol der Weltseele, den kosmischen Baum. Sayyid Muhammad Husayni Gisudaraz sah den Baum als ein Symbol des Wujud, des reinen Wesens. Wir können im Baum eine deutliche Abbildung unserer eigenen spirituellen Anatomie sehen. In der Zeit, in der die Wälder abgerissen werden, dieser gewaltige  Kahlschlag... sich mit den Bäumen zu identifizieren, mit ihnen durch den Atem in eine Wechselbeziehung zu treten und zu erkennen, dass die Bäume den Sauerstoff ausatmen, den wir einatmen, und im Gegenzug Kohlendioxid einsaugen, wird uns etwas bewusst gemacht, das uns bewusster wird, wenn wir in einem wachen Zustand in den Wald hinausgehen: dass hier unsere irdischen Begleiter sind, deren Anatomie

unsere eigene spirituelle Physiologie veranschaulicht und uns helfen kann, uns neu auf den Kosmos auszurichten. Den Kosmos, von dem wir uns entfremdet haben. Diese Neuorientierung entsteht, wenn man beobachtet, wie die Wurzeln der Bäume in die Erde sinken und die Äste der Bäume in den Himmel hochragen und dazwischen die gerade Linie des Stammes ist. Diese Symbolik ist eine perfekte Erinnerungshilfe, um die Soshuna, den zentralen Kanal des Körpers und die Nadis, die aus ihr entspringen, zu aktivieren.