Zehn Sufi-Gedanken zum Klimawandel

von Firos Holterman ten Hove

Frage: “Können kommende Vulkaneruptionen und Erdbeben und Katastrophen in der Natur durch empfindliche Menschen im voraus gefühlt werden?” Antwort: “Ja, da gibt es eine Einwirkung und die Reaktion darauf; die Einwirkung der Natur auf die Menschen und die Einwirkung der Menschen auf die Natur. Dieser Sturm und Wind hat eine bestimmte Auswirkung auf uns, in unseren Ausdruckweisen und Handlungen. Aber Sturm und Wind sind auch auf eine Art eine Reaktion auf die Verfassung der Menschen. Und deswegen werden alle Kriege und Stürme und Überschwemmungen und Vulkanausbrüche meist durch menschliche Wesen, durch Handlungen und Haltungen und Verfassungen der Menschheit im Allgemeinen verursacht.” Hazrat Inayat Khan

1. Es gibt einen Gott, den Ewigen, das einzige Sein; nichts besteht außer Gott.

Klimawandel ist menschengemacht. Hazrat Inayat Khan lehrte uns dies vor hundert Jahren; die Wissenschaft beweist es heute. Durch unsere ökonomische Entwicklung haben wir das Erd-System in 130.000 Jahren verändert, ein kaum vorstellbarer Zeitraum. Die Lebensbedingungen, die unser Planet zu bieten hat, werden in Zukunft zumindest ganz anders sein und wahrscheinlich um einiges weniger zuträglich für menschliches Leben.

 

Die historische Periode mit der Bezeichnung Holozän, die vor 10.000 Jahren mit Zarathustra anfing, der den Menschen eine gottgefällige Landwirtschaft lehrte, geht zu Ende. Zeit selber bekommt eine andere Bedeutung. Plötzlich wird das Mysterium der Ewigkeit aktualisiert.

Geologen nennen die neue Periode Anthropozän. Neu ist die Tatsache, dass wir Menschen nicht nur regionale Umgebungen verändern, sondern die Macht errungen haben, das Funktionieren der Erde als komplexes und dynamisches Ganzes zu stören.

Es ist also nicht irgendein alter Gott, der uns mit Überschwemmungen und Dürren und Erdbeben straft. Wir sind es selber! Nicht nur die Bewohner der westlichen Welt, sondern die ganze Menschheit.

„Die ganze Erde“, „die ganze Menschheit“: diese Begriffe sind schon viele Jahrhunderte als Ideen im Umlauf. Jetzt werden sie zur physischen Realität. In zehn oder zwanzig Jahren wird unsere Welt indo-sino-americo-euro-zentrisch sein. Der durchschnittliche Pro-Kopf-Ausstoß der Chinesen an CO2 ist der gleiche wie der der Europäer. Die alte Teilung zwischen Nord und Süd fällt weg.

Und für den neuen Zeitraum, Anthropozän genannt, lädt Hazrat Inayat Khan die Menschheit ein, Gott als ein Wesen, dass durch allen Formen des Universums wirkt, neu zu denken.

Wir leben in einer Zeit, in der das moderne Ideal der Menschheit zu Ende geht. Wir haben entdeckt, dass unserer Planet gar nicht in der Lage ist, die globale ökonomische Entwicklung zu tragen, die wir uns vorgestellt hatten. Wir verbrauchen Natur in einer Größenordnung, die vier Planeten Erde brauchen würde.

Die Menschheit steht nackt da, ohne Ideal. Die Vision von Utopia, basierend auf dem freien Fluss des Kapitals, wurde auf dem Felsen der physikalischen Wahrheit zerschmettert und ohne Ideale sind wir der Gefahr ausgesetzt, in alte Ideologien von Nationen, Religionen und Familienbanden zurück zu fallen.

Während der letzten zwei- oder dreihundert Jahre wurde die Natur als Ware aufgefasst, im

Wesen als Ressource, die für das Glück der Menschen verwendet werden sollte. Die Menschheit fühlte sich frei zu nehmen, was auch immer sie aus ihrer Umgebung brauchen konnte. Spiritualität hatte mit inneren Welten zu tun, mit Kirchen und Sonntag. Mehr und mehr Menschen verwarfen Spiritualität überhaupt, da sie keinen Vorteil für das Erreichen der materialistischen Utopie bot.

Und dann kam Hazrat Inayat Khan und erklärte, dass die Zeit gekommen ist, unser Ideal zu erneuern: Die Menschheit wird sich selbst mit all ihrer Aktivitäten als in einem größeren Ganzen eingebettet entdecken.

 

Die erste Antwort unseres Inayati-Ordens auf die Herausforderung des Klimawandels ist, ein neues Ideal zu verkörpern, das unsere Körper, Herzen und Seelen nähren kann: die Menschheit in einem größeren Ganzen integriert. 

2. Es gibt einen Meister, den Geist, der allen Seelen den Weg weist und der alle, die folgen, unablässig dem Licht entgegenführt.

 

Warum sind wir in der Vernichtung unserer Welt so weit gegangen? Weil wir den Regeln und Notwendigkeiten der globalen Ökonomie folgen, der herrschenden weltweiten Vision. Der Meister der globalen Wirtschaft ist derjenige, der das Maximum an materiellen Ergebnissen mit einem Minimum an Aufwand erreicht. So gewappnet entwickelte der Mensch in den letzten fünfzig Jahren eine Macht, die buchstäblich Berge versetzt. Durch den Willen des Menschen wird die ganze Welt transformiert, bis hin zu der geologischen Ebene.

 

Diese Entwicklung wurde durch die mächtigen Waffen des Willens und der Rationalität ermöglicht. Der moderne Mensch ist in der Lage, sich von seiner Umgebung zu distanzieren. Er hat die Fähigkeit entwickelt, nicht zu fühlen oder emotional einbezogen zu werden. Alles muss von außerhalb des Planeten Erde beobachtet und gemessen werden, sozusagen von „Sirius“. Die äußere Welt wird als die reale angesehen. Die subjektive Welt als irreal.

Wir mussten unsere Empfänglichkeit für die Prozesse der Natur opfern. Wir mussten jeden Kontakt zu Boden, Erde, Herkunft auflösen. Wir mussten uns von der Idee des “Wir” in jeder Hinsicht verabschieden.

Als reaktionär wurden all diejenigen betrachtet, die versuchten, ihre Zugehörigkeit zu einem speziellen Ort, Beruf oder einer speziellen Gemeinschaft, Umgebung, Lebensweise oder Religion aufrecht zu erhalten. Um eine Welt zu werden, mussten wir alle Unterschiede, alle Diversität über Bord werfen.

Der große Vorteil war die Freiheit, die wir so erwarben. Wir verwarfen die Bindungen, die uns an unsere Umgebung ketteten.

Und jetzt entdecken wir, dass wir mit der ganzen Macht, die wir entwickelten, nicht nur unseren Planeten geplündert haben, sondern auch seine Rhythmen und seine Struktur verändert haben. Wir sind auf dem besten Weg, die Welt, die uns erhält, zu verlieren.

Die Angst und Verrücktheit, die die Resultate dieser Entdeckung sind, haben unterschiedliche Gesichter:

  • Diejenigen an der Macht versuchen die Fakten zu übersehen und täuschen vor, dass alles in Ordnung und einfach eine weitere Herausforderung ist, die vom globalen Kapitalismus gemeistert werden wird.
  • Zum Teil dadurch, dass diese Gruppen die Beweise für die Katastrophe, in der wir hineinschlittern, vernichten.
  • Manche der Reichsten haben angefangen, in Raumfahrzeuge zu investieren, die sie in der Lage versetzen sollen, auch nachdem sie den Planeten Erde verlassen haben, eine menschliche Existenz zu führen.
  • Da manche Regionen wegen klimatischer, ökonomischer oder humanitärer Gründe unbewohnbar werden, begeben sich die Opfer auf die Reise und versuchen, als Flüchtlinge die reicheren Teile der Welt zu erreichen.
  • Die Bewohner der wohlhabenderen Regionen versuchen, eine Invasion zu verhindern und fallen in alte nationalistische Ideologien zurück, als könnte man Teile der Welt von den Veränderungen des Erd-Rhythmus ausnehmen.
  • Manche schlussfolgern, dass die Menschheit das Recht, auf diesem Planeten zu leben, verspielt hat und dass wir aussterben werden.

Die Sufi-Botschaft von Hazrat Inayat Khan bietet eine andere Lösung. Wir müssen aus der Illusion eines Ideals aufwachen, das, wie sich herausstellte, zu begrenzt ist. Wir sollten voranschreiten und unsere Vision erweitern.

Das bedeutet, stolz auf die erworbene Meisterschaft und Autonomie zu sein. Und gleichzeitig anzufangen, auf die Prozesse zu hören, die das Leben auf unserem Planeten bestimmen. Wir müssen anerkennen, dass wir als freie Wesen völlig unabhängig von irgendwelchen Bindungen unvorstellbar sind. Das Anthropozän zeigt ohne irgendeinen Zweifel, wie tief wir in den natürlichen Prozessen verwurzelt sind. Unsere Aktivitäten haben eine direkte Auswirkung auf unsere planetarische Umgebung, die wiederum ihre Wirkungen auf uns hat.

Mit dem Wort „direkt“ ist eine physische Wirkung gemeint. Die Spiritualität von Hazrat Inayat Khan lässt keinen Raum für ein Umgehen der Körperlichkeit. Mit dem Wort „hören“ ist gemeint, dass wir unsere Sinne ernst nehmen. Hören, sehen, fühlen, riechen, berühren als Körperwahrnehmungen und Intuition als ein Verstehen des Sinnes ????

Nur, wenn wir zu hören anfangen, kann uns vermittelt werden, wie wir in einer Welt von Klima-Veränderung überleben können. Wenn wir unser Gewahrsein erweitern, werden wir die Stimme der Führung hören, die von allen Dingen kommt, äußerlich und innerlich.

Die Botschaft von Hazrat Inayat Khan beinhaltet, dass der nächste Schritt in der Kombination von Meisterschaft und Empfindsamkeit liegt.

 

Die zweite Antwort unseres Inayati-Ordens auf die Herausforderung des Klimawandels ist, Menschen dazu zu verhelfen, auf ihre innere Stimme zu hören und ein Equilibrium zwischen Meisterschaft und Führung zu finden.

3. Es gibt ein heiliges Buch, das heilige Manuskript der Natur, die einzige universelle heilige Schrift, die den Leser erleuchten kann.

 

Das Überraschende des Klimawandels ist, dass dieser nicht verstanden werden kann, ohne den Menschen zu verstehen. Die große Bandbreite der Voraussagen über die Erd-Erhitzung im 21. Jahrhundert hat nur einen Hintergrund: Wir wissen nicht, wie der Mensch sich verhalten wird.

 

Dies ist revolutionär! Unsere moderne Kultur basiert auf einer scharfen Trennung zwischen Mensch und Natur. Dadurch dachten wir, die Natur beherrschen zu können. Das Resultat ist, dass wir weniger über den Planeten wissen als je zuvor.

Selbstverständlich geben manche einflussreiche Gruppen die Vision, die Erde zu unterwerfen, nicht auf. Geo-Engineering ist ihr Schlüssel-Begriff. Man kann nur hoffen, dass auch diese Menschen aus der Illusion aufwachen werden, bevor sie den Zustand noch verschlechtern.

 

Ungewollt haben wir uns an einen Punkt gebracht, an dem wir aufgeben müssen. Die einzige Art und Weise, mit der neuen unvorhersehbaren Situation umzugehen, ist zuzugeben, dass wir es nicht wissen. So resultiert die Entweihung der Natur in einer neuen Heiligkeit in der Hinsicht, dass sie ein unbekanntes Mysterium darstellt, das vielleicht nicht berührt werden sollte, weil wir die Folgen nicht kennen. Wir dachten, dass wir die Meister des Universums sind und finden heraus, dass die einzige sinnvolle Option mit den Kräften der Natur umzugehen, Bescheidenheit ist.

 

Unser Planet ist eine ununterbrochen sich bewegende Einheit, angetrieben von miteinander verbundenen Zyklen und Einflüssen - von der Erdmitte aus gehen sie durch die Atmosphären bis zu Mond, Sonne, Planeten und Sternen und bilden eine Einheit.

 

Diese Einheit ist mehr als ihre Teile. Wir sind daran gewöhnt, das Leben in unterschiedliche Teile zu zerlegen und mit diesen analytischen Methoden haben wir den Sinn für Heiligkeit verloren.

 

Und jetzt kehrt diese Heiligkeit oder Ganzheit durch die Hintertür zurück. Wir werden mit einem Erd-System konfrontiert, das alles umfasst, einschließlich uns selbst. Die Menschheit entwickelte eine ungekannte Macht die Natur zu verändern, aber recht wenig Verständnis für die Verwobenheit der unterschiedlichen Körper und Kräfte.

 

Kein anderes Lebewesen kann die Prozesse der Natur so sehr beeinflussen wie der Mensch, aber wir werden nie in der Lage sein, diese komplexen Systeme zu beherrschen, da wir ein Teil von ihnen sind.

 

Eine völlig neue Sicht der Natur wurde geboren. Hazrat Inayat Khan wurde dafür ausgelacht, als er behauptete, die Erde sei das Zentrum des Universums. Allmählich können wir vielleicht verstehen was er meinte. Im Anthropozän müssen wir die rein rationale und „wissenschaftliche“ Art, die Erde zu betrachten, aufgeben. Die Erde wurde als einer von vielen Planeten im unendlichen Universum angesehen. Diese Anschauung brachte uns an den Rand der Vernichtung unserer Erde. Wir sind dabei.

 

Komplementär zu den bereits bestehenden Formen muss die Wissenschaft um das Forschungsthema „Transformation“ erweitert werden. Geburt, Tod, Wachstum, Leben und Verderb werden die metamorphischen Phänomene ausmachen, die näher untersucht werden müssen.

 

Die Etymologie des Wortes “Natur” umfasst Aspekte von

  • Ursprung
  • Generierung
  • Paarung und
  • Entwicklung.

Diese Aspekte können nicht aus dem Weltraum heraus untersucht werden. In diesen mischt sich das Leben des studierten Objekts mit dem Leben des Wissenschaftlers, alle lebenden Wesen mit einer Seele.

 

Wenn wir so das Buch der Natur lesen, wird es zur Quelle der Erleuchtung, weil auf diese Art die Barrieren zwischen Mensch und Welt zerbröckeln.

 

Bindung bekommt ihren berechtigten Stellenwert, neben Ungebundenheit.

 

Die 3. Antwort unseres Inayati-Ordens auf die Herausforderung des Klimawandels ist, dass wir sowohl uns selber als auch die uns umringende Welt als zu ein und derselben Natur zugehörig verstehen.